6. Tag Nordkapptour mit dem BMW i3 von Muonio nach Alta

Unsere Reichweiten-Schlüssel-Etappe, ein skurriler Außenposten am Ende der Welt und die teuerste Ladestation Norwegens

Als ich am Morgen einen ersten Blick aus der Hütte zum Fluss warf, schwahnte mir Böses.
Er floss kalt, begleitet von leichtem Nieselregen dahin und der stürmische Wind ließ die dünnen Birken stark schwanken.
Der Blick auf die Wetter-App bestätigte meine Vorahnung.
2 Grad Außentemperatur.
Das bedeutet Gänsehaut für den Akku unseres i3 oder anders ausgedrückt, eine Menge extra Energie, die unser Auto zum Heizen des Akkus benötigen würde.
Genau so ein Wetter möchte man nicht haben, wenn man Hypermiling vorhat, oder anders ausgedrückt, das Letzte aus dem Akku quetschen will.
Das einzig Positive war, dass wir erst mal rund 100 Kilometer fahren mussten, bis wir zur Schlüsseletappe kommen würden. Während dieser Strecke würde der Akku sich auf jeden Fall auf Wohlfühltemperatur aufheizen und sich aus seiner "Froststarre" befreien können in die er über Nacht ohne Vorklimatisierung, da er ohne Ladeanschluss vor der Hütte stand, gefallen sein musste.
Zwanzig nach 8 Uhr morgens machten wir uns dann mit 99% SOC (State of Charge = Akkustand) auf den Weg.
Ich hatte das Vergnügen, zu fahren und kämpfte mich über Straßen die im Horizont zu verschwinden schienen gegen böigen Nordwind voran.
Um den Akku auf Temperatur zu bringen, fuhr ich die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von bis zu 110 km/h.

Nach 1,5 Stunden kamen wir mit einem Akkustand von 30,5% Leppäjärvi an.

Der Ort, der nicht viel mehr war als die Tankstelle mit Restaurant und Tante-Emma-Laden, hatte einige Überraschungen zu bieten.
Im ersten Anlauf konnten wir die Ladesäule nicht finden, weil selbst, oder gerade deshalb, weil sie am Ende der Welt lag, die Ladesäule zugeparkt war.
Ein kühnes Einparkmanöver später, das aus dem Serviceeingang der Hütte misstrauisch beobachtet wurde, stand unser i3 perfekt zur Säule und konnte der Ladevorgang beginnen.
Der Wind rüttelte am i3 und gab ihm eine Breitseite nach der anderen. Der Gedanke, dass wir den Wind die nächsten 189 Kilometer überwiegend von vorne haben sollten, lies ein flaues Gefühl im Magen entstehen.
Zusätzlich machte ich den Fehler, dass ich im Kopf überschlug, wie weit wir mit dem Verbrauch auf der ersten Etappe die nächste fahren könnten und viel mehr als 140 Kilometer wären damit nicht drin.
Das bedeutete ein Reichweitendefizit von rund 50 Kilometer.
Das die Ladezeit über 3 Stunden betrug, um gegen die auf Hochtouren laufende Standheizung, die kühlen Außentemperaturen und das dünne Stromnetz anzukommen, brauchte der i3 so lange auf 100% SOC, führte nicht unbedingt dazu, dass sich meine Nervosität legte.
Ich versuchte mit mit dem Schreiben des Blogs abzulenken, als jäh die Stille durchbrochen wurde.

Mit wildem Getöse starteten ein Lamborgini und ein Audi R 8 ihre Motoren und rasten davon.
Wie anders sollte unser Start kurze Zeit später sein.
Die letzten Prozent SOC auf 100% waren zäh. Immer wieder viel der SOC wieder von 99,5% auf 99% bis er endlich 100% erreichte. Normalerweise warten wir nicht so lange, aber ich wollte, wenn wir liegen bleiben sollten, mir nicht vorwerfen, dass wir mit 99% gestartet waren und nicht mit 100%.

Ein kurzer Spaziergang zum nahe gelegenen See pustete den Kopf frei und frischte uns für unser Abenteuer auf. Als die App 100% SOC verkündete, gab es keinen Grund mehr, die Entscheidung heraus zu zögern.
Ein letzter Besuch der Toilette, denn für die nächsten 3,5 - 4 Stunden war ein Anhalten nicht möglich, da das zu viel Energie kosten würde, und es ging los.
Meine Frau, die die Etappe, aufgrund ihres sensiblen Gasfußes und der zu erwartenden Verkehrsbehinderung, die man einer Frau eher verzeiht als einem Mann, übernehmen würde, startete den i3.
Es traf uns wie ein Schlag in die Magengrube, als die Reichweitenanzeige 140 Kilometer anzeigte.
Diese Reichweite wird aufgrund der letzten Fahrt ermittelt. Unsere Hoffnung war jetzt, das für die kommenden 189 Kilometer die Reichweite auf der Basis der Route, die wir im Navi eingegeben hatten, mehr ergeben würde.
Die Reichweite stieg auf 142 Kilometer.
So hatten wir uns das nicht vorgestellt.
Sollten wir wirklich weiter fahren oder lieber umkehren, um der Blamage und der Gefahr im menschenleeren Hochland zwischen Finnland und Norwegen liegen zu bleiben zu entgehen?
Wir tauschten einen entschlossenen Blick aus und schalteten in den Ecopro Modus.
Die Reichweite stieg auf beruhigende 192 Kilometer. 3 mehr als wir brauchen würden.
Zu wenig um wirklich beruhigt zu sein.

Es wurde Zeit, den Joker zu ziehen und in den schärfsten Energiesparmodus zu gehen.
Ecopro +
Das ist der Modus den du wählst wenn du langsam herumschleichen willst, am besten bei 20 Grad Außentemperatur und bewölktem Himmel.

Denn in diesem Modus heizt oder kühlt der i3 nicht mehr. Du kannst maximal 90 km/h schnell fahren und die Motorleistung wird so deutlich herunter geregelt, dass du das Gefühl hast, eine Wanderdüne zu bewegen.
Bei einer Tour durchs Hochgebirge, bei starkem Gegenwind und Außentemperaturen um die 3 Grad ist dieser Modus kein Vergnügen mehr.
Aber immer noch viel besser als Liegenbleiben. Denn die Reichweite stieg nun auf 236 Kilometer, fast 50 mehr als wir brauchten...
Also zogen wir uns warm an und legten uns genug Sachen parat, um dem immer kälter werdenden Innenraum zu trotzen.
Im Gegensatz machten wir uns nicht mit einem Kavalierstart wie die Supersportwagen vom Acker sondern bewegten den i3 mit sanftem Fuß langsam auf seine Reisegeschwindigkeit von 60 km/h, die er die nächsten 4 Stunden mit wenigen Unterbrechungen beibehalten sollte.
Wir fuhren die ganze Zeit mit Tempomat und hatten immer den Abstand zwischen noch zu fahrenden Kilometern und der kalkulierten Restreichweite im Blick. Sie lag auch noch nach einer Stunde und viele Steigungen bei 50 Kilometer.
Weil es mittlerweile empfindlich kalt geworden war, schalteten wir von Ecopro + auf Ecopro um und ließen bei immer noch reduzierter Motorleistung und Heizleistung die Heizung auf 24 Grad laufen.
Zwar schaffte der i3 es bei dieser Einstellung nicht, den Innenraum auf 24 Grad zu heizen, aber es wurde zumindest wärmer und wir konnten unsere dicken Jacken und Schals ausziehen.
Die Restreichweitendifferenz sank durch diese Komfortaktion um 10 Kilometer.
Wenn du schon mal 4 Stunden 60 km/h mit Tempomat gefahren bist, weißt du wie ermüdend die Fahrt ist. Dann wird es dich nicht wundern, dass ich nicht viel von der Fahrt an sich zu berichten habe.
Mit jedem Kilometer, den wir zurücklegten, stieg die Gewissheit, dass wir unser Ziel erreichen.
Wir fuhren durch eine atemberaubende Hochgebirgslandschaft, hatten aber leider nicht die Energie im Akku, um für Fotostopps zu halten. So musste ich die Fotos aus dem fahrenden Autos schießen und hoffen, dass sie scharf genug werden.
Ab Mazi, so hatten wir im Höhenprofil des Routenplaners gesehen, sollte es überwiegend abwärts gehen.
Das hatte mich zu der Prognose verleitet, dass wir ab diesem Punkt einiges an Energie und Restreichweite durch die Rekuperation gewinnen würden.
Doch es kam anders.
Der Abstieg war kurz und unspektakulär und wie die Analyse am Ende ergab, haben wir auf der gesamten Strecke, nur 1 kWh Energie pro 100 km an Energie gewonnen haben, aber dafür 12,8 kWh/100 km verbraucht hatten.
Für die kalten Bedingungen, dem starken Gegenwind ein beeindruckender Wert.
Liegt doch der Verbrauch nach NEFZ bei 12,7.

Als wir vom Fjell herunter kamen erlebten wir einen weiteren Frühling. Der Schnee wurde weniger, die Bäume hatten wieder das erste zarte Grün und die Temperatur stieg auf 9 Grad.

Wir rollten auf den Hotelparkplatz, fanden die Ladestation auf Anhieb direkt vor dem Hoteleingang und schlossen den i3 an.
Ich ging in das Hotel voller Vorfreude, auf unser warmes Zimmer mit einem richtigen Bett und der Feier unserer geschafften Schlüsseletappe der Nordkapptour.
Mit einem freundlichen, Hi my name is Dirk und ich habe reserviert ging ich an die Reception.
Mit jeder Minute, die die Hotelangestellt brauchte, um meine Reservierung zu finden, mit jeder Nachfrage nach meinem Namen, dem Weg wie ich reserviert hatte und den verzweifelten Blicken der Angestellten, schwand meine Hoffnung auf einen entspannten Abend.
Dann endlich fand sie die Reservierung und bereitete das Zimmer vor.
Als letzte Bitte, fragte ich noch nach dem Parkschein fürs Laden des Autos und die Dame sagte mir, dass ich nicht mehr wie im Routenplaner beschrieben 3, sondern sogar 4 Stunden kostenlos dort stehen und laden könnte.
Der Nachsatz der dann folgte sickerte langsam in mein von der langen Schleichfahrt aufgeweichtes Gehirn.
Ich müsse, so eröffnete mir die Dame, fürs Laden pauschal 400 NOK zahlen, dass sind umgerechnet 40 Euro.
Die Info traf mich wie ein Schock, denn 1. hatte ich erwartet, das das Laden kostenlos ist und 2. fand ich schon die 100 NOK teuer, die wir am nächsten Tag pauschal beim Laden in Skaidi zahlen mussten.
Normalerweise zahlen wir am Schnelllader in Skandinavien 70 Eurocent pro kWh, also für die zu ladenden 25 kWh 17,5 Euro, bei Typ-2-Ladern jedoch maximal die Hälfte, also 8,75 Euro.
Zudem hatten wir geplant, auf dem Rückweg vom Nordkapp wieder in Alta zu laden, so dass uns diese überteuerte Ladestation 2 x treffen würde.
Eine Alternative gab es nicht, also schluckte ich die bittere Pille herunter und versuchte, mich wieder auf unsere Feier zu freuen und die 40 Euro mit den vielen kostenlosen Ladungen die wir bisher machen konnten zu relativieren.
Nach 3 Stunden Laden, die wir mit einem Festmahl auf dem Hotelzimmer überbrückten, parkte ich das Auto um und bezahlte die Parkgebühren für den restlichen Teil unserer Übernachtung im Scandic Hotel Alta.
Zur Feier des Tages ließen wir den Abend mit einem Gläschen Vodka-Sprite ausklingen und planten die Rücktour um, damit wir nicht noch einmal in Alta halten und laden müssen.
Langsam, Schritt für Schritt, sickerte bei mir durch, was wir heute geschafft hatten.
Wir hatten die Schlüsseletappe der Tour hinter uns gebracht, die Reichweitenangst ein für alle mal besiegt und waren nur noch eine Tagesetappe vom Nordkapp entfernt.
Mit einem grinsen auf dem Gesicht schlief ich ein...